Im Labor von Ludwig Windstosser

Im Labor von Ludwig Windstosser

Das Werk des Avantgarde- und Industriefotografen Ludwig Windstosser wurde durch die große Retrospektive im Winter 2019/20 im Museum für Fotografie wieder entdeckt. Stefanie Regina Dietzel, eine der Kuratorinnen der Ausstellung, hat mit Unterstützung des Vereins der Freunde des Museums für Fotografie ein Gespräch mit Heide Schmidt geführt, die als Assistentin Windstossers spannend über den Arbeitsalltag des Fotografen berichten kann. Hier ist die Transkription des Interviews:

Im Labor von Ludwig Windstosser

Interview mit Heide Schmidt, 28. Juli 2020

Im Herbst 2019 zeigte das Museum für Fotografie mit Ludwig Windstosser. Fotografie der Nachkriegsmoderne die erste Retrospektive zum umfangreichen Werk des Stuttgarter Fotografen. Noch bevor die Besucher*innen den Ausstellungsraum betraten, wurden sie von einer Fotografie begrüßt, die Ludwig Windstosser (1921-1983) in seinem Archiv zeigte; bei ihm Assistent Rolf Schmidt und Fotolaborantin Heide Schmidt.

Mit Stefanie Regina Dietzel, einer der Kurator*innen der Ausstellung, sprach Heide Schmidt (geb. 1944) über die Fotografie und ihre Zeit bei Windstosser. Bevor sie bei Windstosser arbeitete, ließ sie sich bei ihrem Vater, dem Sportfotografen Erich Baumann, zur Fotolaborantin ausbilden.

HS: Windstosser hatte eine Anzeige in der Stuttgarter Zeitung geschaltet, dass er eine Fotolaborantin sucht. Schon als ich von der Weinsteige herunter kam zu seinem Haus, dachte ich, da möchte ich arbeiten! Wenn der dich nimmt, da fängst du sofort an. Das war schon was ganz Besonderes. Damals war ich 17. Mein Vater war mit und hat mehr für mich gesprochen als ich.

Ich habe zweimal bei Herrn Windstosser gearbeitet. Einmal 1961, danach bin ich in eine Haushaltsschule, in ein Töchterheim. Da hat mich meine Mutter hingeschickt, damit ich eine gute Hausfrau werde. Ich war da ein halbes Jahr – dazu gibt es auch noch eine nette Geschichte. Nachdem ich zurück war, habe ich erst bei meinen Eltern gearbeitet. Als ich Herrn Windstosser einmal wieder besucht habe, sagte er, ach Heide, meine Laborantin bekommt ein Kind, wollen Sie nicht wieder kommen? Dann hab ich nochmal zwei Jahre bei ihm gearbeitet – bis ich 1966 geheiratet hab. Ich habe ja meinen Ex-Mann da kennengelernt, den Rolf Schmidt, der auch auf dem tollen Foto ist.

SRD: War der Raum, den wir in der Fotografie sehen, ihr Arbeitsplatz?

HS: Ja genau, wir sind da gerade dabei, mit dem Archiv in die neuen, super schönen Räume im Anbau umzuziehen. Und wo Herr Windstosser steht, mit dem Stuttgart-Buch in der Hand, ist eine Tür. Da ging’s rein ins Fotolabor: das war eigentlich der Heizraum des Wohnhauses, unten im Keller. In diesem Heizraum stand eine Badewanne, in der die Bilder gewässert wurden. Mit Kork-Klämmerchen hingen die dann im Wasser, und Filme haben wir auf der Wäscheleine über der Badewanne getrocknet. Das war schon abenteuerlich! Und die Räumlichkeiten – das Bild sagt ja eigentlich alles – es war unglaublich viel Staub in dem Raum, wenn die Heizung ansprang. Da hatten wir auf den Schwarz/Weiß-Filmen immer weiße Pünktchen, da konnten wir sie putzen soviel wir wollten. Wir mussten viel “fleckeln”, also die Flecken mit einem Pinsel auf dem Positiv entfernen. Das machte man mit Eiweiss-Lasurfarbe. Da hat man ganz vorsichtig mit Spucke und Farbe gepinselt.

Herr Windstosser hat mir dazu oft einen Tisch nach draußen gestellt und gesagt, Heide raus in den Garten! Dann saß ich unterm Sonnenschirm und hab gefleckelt. Das war typisch Ludwig Windstosser, dass man nicht im Keller sitzt, wenn es nicht sein muss. Was man da im Fotolabor hatte, der Gestank, das war ja auch nicht so gesund. Die ganze Chemie haben wir damals alles in den Ausguss geschüttet. Aber überall, das haben alle gemacht. Den Papierausschuss von Vergrößerungen haben wir gesammelt und einmal in der Woche hab ich da, wo der Neubau später stand, Feuer gemacht und den ganzen stinkenden Kram verbrannt. Das muss man sich mal vorstellen! Aber da hat sich kein Mensch Gedanken gemacht. Insofern ist das jetzt schon umweltfreundlicher geworden.

Das Foto ist ja so bezeichnend, mit den Kästen in unserer Rumpelkammer. Das war noch vor dem Umzug in die neuen Räume – nebenan hat er ja 1964 ein neues Labor-Gebäude gebaut. In der Ausstellung gab es auch ein Selbstporträt, wo im Hintergrund andeutungsweise weiße Kästen zu sehen waren. Da waren nachher die Schachteln drin. Die orangenen Kästen, die in der Ausstellung am Eingang standen, die ich so klasse fand, die waren nachher alle in den schönen neuen Räumen. Das war ein klasse Atelier – Welten zu diesem Raum vorher.

SRD: Wie kann man sich den Arbeitsalltag bei Windstosser vorstellen, wenn nicht gerade gefleckelt werden musste?

HS: Windstosser kam mit Filmen, die haben wir dann entwickelt und Probeabzüge gemacht. Er hat natürlich die Auswahl gemacht, Ausschnitte, alles. Aber dann durfte ich auch viel selber machen und habe sehr eigenständig gearbeitet. Da habe ich mir auch immer Zeit gelassen. Es kam nicht darauf an, nochmal ein Blatt Ausschuss zu sparen, dann lieber gründlich. Er hat ja viel für Mannesmann und Ruhrkohle gearbeitet und da musste man oftmals zehn oder zwanzig Vergrößerungen machen – und die mussten alle haargenau gleich aussehen. Er war ‘n Griffelspitzer, so ‘n ganz Gründlicher. Er hat dann die Abzüge nebeneinander gelegt, übereinander, links, rechts, dass alle haargenau gleich zusammengepasst haben. Mannesmann und Ruhrkohle waren seine größten Kunden und sind mir noch am meisten in Erinnerung. Ansonsten hab ich alles an Schwarz/Weiß-Fotos in der Zeit gemacht: Er hat ja auch viele Bücher gemacht – über Stuttgart oder Ludwigsburg.

SRD: Auf der Fotografie sehen wir ja nur drei Leute. Windstosser war aber ungemein produktiv, wie man ja auch an den im Museum für Fotografie ausgestellten Schachteln sehen konnte. Gab es noch mehr Leute im Team?

HS: Wir waren immer nur drei Leute. Der Chef, ein Fotograf und die Laborantin, das war die ganze Belegschaft. Die Fotografen waren viel unterwegs, und da war ich oft alleine und habe die Firma geschmissen, Bestellungen entgegengenommen und kontrolliert, ob alle Abzüge in Ordnung sind. Ich habe vor allem Lieferscheine geschrieben, wenn er nicht da war, und Lieferungen abgeschickt. Da hat Mannesmann dann eine Bestellung geschickt mit zehn mal zehn Vergrößerungen, die habe ich gemacht und dann wieder weggeschickt. Aber ansonsten hatte ich mit dem Büro gar nichts zu tun. Da haben Herr und Frau Windstosser sich auch sehr zurückgehalten, das ging die Angestellten nichts an.

SRD: Sie waren also nicht bei den Aufträgen dabei, sondern haben primär im Labor gearbeitet? Und fotografiert hat er allein?

HS: Meistens mit dem Assistenten zusammen. Auf den Reisen sowieso. Da waren immer die zwei Männer: eine Fotografin gab’s eigentlich nie. Ich war nur eine Woche in Ulm mal mit, als er für das Ulm-Buch fotografiert hat. Da waren wir an einem Tag dreimal oben auf den Ulmer Münster, weil immer irgendwie die Sonne nicht stark genug war. Oder wir saßen in der Kirche, und es sollte auf einen bestimmten Heiligen die Sonne scheinen. Da saßen wir bestimmt eine Stunde und haben gewartet. Er hatte eine unheimliche Geduld. Tagsüber gab es höchstens mal eine Tafel Schokolade, damit wir nicht umgefallen sind, aber Abends sind wir dann immer schön essen gegangen, das war dann für mich als junges Mädchen etwas Besonderes. Einmal saßen wir abends im Auto, Herr Windstosser und ich, und haben Studio 13 gehört – da gab es einmal in der Woche ein Krimi-Hörspiel im Süddeutschen Rundfunk. Er war ja ein Krimi-Fan und ich auch, und dann haben wir uns ins Auto gesetzt mit einer Flasche Wein und hatten was zu Essen und haben Krimi gehört.

Und dann haben wir das Stuttgart-Buch, da bin ich ja ganz oft drin: Vor der Liederhalle, am Springbrunnen im karierten Kleidchen, im gestreiften Rock, die junge Frau mit schwarzen Haaren, da bin ich ganz oft zu sehen, auch auf einer ganzen Doppelseite – das verliebte Pärchen, da bin ich drauf mit einem Kollegen. Damals war die Liederhalle ganz neu, und es gibt auch eine Innenaufnahme der Liederhalle im Buch. Das sind ursprünglich vier einzelne Aufnahmen, und das hat man dann im Labor vergrößert und so aneinandergesetzt dass es gepasst hat. Das war eine Friemelei!

SRD: Wie lief denn die Zusammenarbeit mit den Firmen ab?

HS: Das hab ich nicht mitbekommen, aber er hat mir die Anfänge erzählt. Da ist er mit dem alten Opel Kapitän und seiner Ausrüstung zu Mannesmann gefahren und hat gesagt, ich möchte mal für euch fotografieren. Und die haben gesagt, ja jetzt mach mal.
Als sein Sohn später angefangen hat, meinte er, die jungen Leute haben es viel schwerer. Man musste schon einen Namen und Ausrüstung haben, etwas vorweisen können. Wenn man das alles nicht hat, dann kann man nicht gut sein. Und wenn man einen Namen hat, dann kamen auch die Anfragen. Da hatte er es doch einfacher. Man muss aber auch dazu sagen das waren andere Zeiten. Da gab es noch lange noch nicht so viele Fotografen.
Ich weiß noch, dass er mal zu mir gesagt hat, dass Mannesmann abgesprungen ist. Wann das jetzt war, weiß ich nicht mehr, da hab ich nicht mehr bei ihm gearbeitet. Es war ihm immer wichtig, eher 100 kleine Kunden als nur ein paar große zu haben, falls mal einer abspringt. Damals hat er auch gesagt, es wird schwerer. Vielleicht hat er deswegen auch mit den Büchern angefangen. Das Baden-Württemberg-Buch hat er mit Begeisterung gemacht, Kloster fotografiert wie in Maulbronn.

SRD: Haben Sie danach weiter als Fotolaborantin gearbeitet?

HS: Nein, ich habe erst mal bei einer Werbeagentur in Stuttgart gearbeitet. Dann habe ich recht bald bei der Ludwigsburger Kreiszeitung angefangen, auch erstmal im Labor, weil meine Kinder noch klein waren. Ich wollte eigentlich gucken, dass ich irgendwo den Fuß rein kriege – im Hinterkopf natürlich, dass ich da auch fotografieren kann. Sie haben tatsächlich gefragt, ob ich da eventuell auch mal aushelfen könnte. Ich dachte mir, ja deswegen fange ich bei euch ja an! Und dann ging das auch recht schnell und ich hab 25 Jahre lang Pressefotografie gemacht. Das war spannend, manchmal war’s auch anstrengend, aber ich hab viel gesehen und viel erlebt. Einmal hab ich Windstosser fotografiert, als er das Baden-Württemberg-Buch in Bietigheim vorgestellt hat. Schöne Begegnung.

SRD: Wie war Windstosser denn menschlich?

HS: Er war unheimlich witzig, immer gerecht und immer freundlich, ich fand ihn ganz angenehm. Er war der beste Chef, den ich je hatte.
Als ich da das halbe Jahr in Greuth war, in dem Töchterheim, sollten wir ein Referat halten über unsere Heimatstadt. Ich dachte mir, frag ich mal Herrn Windstosser, der hat ja so viele Fotos aus Ludwigsburg. Er hat mir dann eine ganze Agfa-Schachtel mit Bildern geschickt. Da musste ich dann gar nicht viel erzählen und habe einfach meine Fotos herumgezeigt – das war wunderbar für mich. Auf dem Päckchen stand: An Heide Baumann, im Mädchensilo von Greuth. Solche Sachen hat er auch gemacht, er war einfach witzig.
Ich hab bei ihm auch viel gelernt, vom Gucken und Schauen. Ich hab da sehr sehr gerne gearbeitet. Als ich bei der Ausstellung die Treppe hochkam und die Schachteln gesehen hab, das fand ich toll! Jetzt hab ich doch mehr erzählt als ich gedacht habe.

SRD: Wir bedanken uns ganz herzlich für Ihre Geschichten!



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